Annika Scheffel: Bevor alles verschwindet
BEVOR ALLES VERSCHWINDET von Annika Scheffel ist eine wunderbar skurrile Erzählung über Spekulation und die Ohnmacht.
Gelesen von Stephan Schad
Seit Ewigkeiten schon liegt im Tal der kleine Ort, dessen Bewohner eigentlich ganz zufrieden sind mit sich und ihrem Leben. Doch mit einem Mal soll ein Staudamm gebaut und das gesamte Tal geflutet werden. Alle müssen ihre Häuser innerhalb eines halben Jahres verlassen – ein Schock für die Bewohner, auch wenn weiter oben ein ganz neuer Ort für sie gebaut wird, dem sie sogar einen Namen geben dürfen. Zwar winken reichhaltige Entschädigungen und schicke neue Häuschen, aber natürlich sind nicht alle begeistert. Da sind der Bürgermeister Wacho und sein Sohn David, die Salamanders mit den Teenie-Zwillingen Jules und Jula, die alte Greta auf ihrem Motorrad und schließlich Familie Schnee, deren kleine Tochter Marie gern mit Totenköpfen spielt und manchmal imaginäre blaue Füchse sieht. Von ihnen droht der größte Widerstand, und so wird für sie schon mal ein letztes großes Fest organisiert. Ob sie sich umstimmen lassen?
Annika Scheffel: Bevor alles verschwindet
Wie gehen Menschen mit Situationen um, die sie ganz plötzlich vor unveränderliche neue Tatsachen stellen? Was bedeutet es zum Beispiel, wenn eine ganze Dorfgemeinschaft ihren Heimatort verlassen soll? In ihrem außergewöhnlichen Roman “Bevor alles verschwindet” beschäftigt sich Annika Scheffel auf ihre ganz eigene Art mit diesem Thema. Ihre Helden wollen nicht gern von alten Gewohnheiten und liebgewonnenen Eigenarten lassen, und vor allen Dingen wollen sie nicht von irgendwelchen Unbekannten aus ihrem Dorf vertrieben werden.
Aber es geht in „Bevor alles verschwindet“ von Annika Scheffel nicht nur um die Wahl zwischen heldenhaftem Widerstand oder hoffnungsloser Resignation, sondern auch um das Abwägen von Verlust und Chancen, um die Macht alter Gewohnheiten und die VerheiĂźungen des neuen Landes, um die Auseinandersetzung mit einer lebensverändernden Situation also, mit der jeder unterschiedlich umgeht. Und welchen Weg Ihre Figuren auch wählen, sie alle zeichnet die Autorin mit viel Wärme und Sympathie, wobei sie jeden Einzelnen mit manchmal obskuren Eigenheiten versieht und auch so manches Geheimnis aufscheinen lässt.
Eine wunderbar skurrile Erzählung
“Bevor alles verschwindet” von Annika Scheffel ist eine wunderbar skurrile Erzählung mit gelegentlich etwas märchenhaften Zügen, aber auch ein Buch zum Nachdenken über den Hang zur eigenen Scholle, die bösen Folgen von Spekulation und die Ohnmacht des Einzelnen gegenüber einer scheinbar allmächtigen Bürokratie – und eine Parabel darauf, dass aus Vergangenem immer auch interessantes Neues entsteht. Der Schauspieler, Comiczeichner und Hörbuchsprecher Martin Baltscheit erzählt die Story mit viel Sympathie für die Figuren und feinem Gespür für das Skurrile der Situationen.
Die Autorin
Annika Scheffel, geboren 1983 in Hannover, ist Prosa- und Drehbuchautorin. In GieĂźen und Bergen, Norwegen, studierte sie angewandte Theaterwissenschaften. 2010 erschien ihr DebĂĽtroman „“Ben““, der auf der SWR-Bestenliste stand. Annika Scheffel lebt mit ihrer Familie in Berlin.