Marina Lewycka: Lubetkins Erbe oder Von einem, der nicht auszog
Mit schwarzem Humor nimmt sich Marina Lewycka in LUBETKINS ERBE ODER VON EINEM, DER NICHT AUSZOG der prekäre Mietsituation in London an.
Berthold Sitebottom ist fünfzig, wohnt bei seiner betagten Mutter in einer Sozialwohnung im Londoner East End und verdient mit seiner Schauspielerei kaum einen Cent. Als die Mutter stirbt, droht der Verlust der günstigen Bleibe – oder Schlimmeres. So zieht kurzerhand Inna ein, die sich für eine Weile als seine Erzeugerin ausgeben soll, bis Berthold den Mietvertrag auf sich überschreiben lassen kann. Allerdings hat Inna, die aus der Ukraine stammt, seine Mutter erst in ihren letzten Tagen im Krankenhaus kennengelernt und ist auch der englischen Sprache nicht sonderlich mächtig. So wirbelt sie in ihrer neuen Mutterrolle einigen Staub auf und bringt Berthold in ziemlich vertrackte Situationen. Das merkt auch Violet, die junge Nachbarin aus Kenia, auf die Berthold ein Auge geworfen hat.
Doch die hat gerade ganz andere Sorgen, denn ihr neuer Job in der Vermögenssicherung zeigt ihr, wie tief korrupt das Finanzsystem ist. Soll sie wirklich dabei helfen, den Staat um seine Steuern und armen Leute um ihre sauer verdienten Ersparnisse zu bringen? Und dann will auch noch jemand die schönen Kirschbäume in der Nachbarschaft fällen, um dort teure Apartmenthäuser entstehen zu lassen…
Lubetkins Erbe oder Von einem, der nicht auszog
Mit einem gehörigen Schuss schwarzem Humor nimmt sich die englische Schriftstellerin Marina Lewycka in ihrem neuen Roman “Lubetkins Erbe oder Von einem, der nicht auszog” die prekäre Miet- und Wohnsituation in einer der teuersten europäischen Hauptstädte vor. Mit viel Sympathie und Liebe zum Detail stellt sie uns Berthold Sidebottom vor, der es mit seinen fünfzig Jahren als Schauspieler immer noch nicht geschafft hat und weiter bei seiner Mutter lebt. Oder die 23 jährige Violet, die ihr Leben mit viel Elan und Ehrgeiz anpackt und merkt, dass der Preis für ein klein wenig beruflichen Erfolg hoch ist: Wer nach oben will, muss mitmachen beim schiefen Deal um Steuerschlupflöcher, Gefälligkeiten und windige Geschäftsmodelle.
Fast wie nebenbei zeigt die Autorin auf, wie die Steuermodelle Marke „Panama Papers“ funktionieren. Während immer mehr Menschen im sozialen System Englands auf der Strecke bleiben. Doch sie zeigt auch, wie man durch etwas Menschlichkeit anderen helfen kann. Vielleicht manchmal etwas arg schrill gestrickt, ist “Lubetkins Erbe oder Von einem, der nicht auszog” ein Stück wunderbare Sozialromantik. Ken Loach hätte seine Freude daran. Laut Wikipedia war Berthold Lubetkin übrigens ein russischer Architekt, der nach England emigrierte und dort in den 1930er Jahren zu einem der Pioniere des Sozialen Wohnungsbaus wurde.
Marina Lewycka wurde nach dem Zweiten Weltkrieg als Kind ukrainischer Eltern in einem Flüchtlingslager in Kiel geboren. Sie wuchs in England auf. Lewycka ist verheiratet, hat eine erwachsene Tochter. Sie lebt in Sheffield und unterrichtet an der Sheffield Hallam University. Die Website von Marina Lewycka.