Karen Duve: Macht
MACHT von Karen Duve ist ein zynischer, eigenwilliger Roman von einer Autorin, die einen Blick in eine nicht allzu ferne Zukunft wagt und in ihren Gedanken keine Schranken kennt.
Außer dem ehemaligen Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz, der inzwischen Bundeskanzler ist, sitzen im Jahr 2031 in allen gesellschaftlichen Schlüsselpositionen nur noch Frauen. Das Leben hat sich verändert, es gibt Wirbelstürme, Hitzewellen und Sturmfluten, während das Autofahren, Reisen und Fleischessen fast unerschwinglich teuer geworden ist. Und es gibt Gen-Pillen, die allen ihr gewünschtes Alter zurückgeben. Viele nehmen Ephebo, auch wenn sie sich damit aus der späteren medizinischen Versorgung ausschließen – das Krebsrisiko ist einfach zu hoch. Sebastian bemüht sich sehr um ein Arrangement mit den neuen Verhältnissen, doch irgendwann wird ihm das alles zu viel, er wünscht sich die alte Ordnung zurück. In seinem ehemaligen Elternhaus, wo er nun wohnt, hat er alles im Stil der 60er Jahre eingerichtet. Und er versucht, der Versuchung des allgegenwärtigen elektronischen Medien zu widerstehen. Sebastian hat aber auch ein Geheimnis: Im geheimen Kellerraum hält er seine Ex-Frau, eine wichtige Ministerin, seit zwei Jahren gefangen. Sie soll für seine sexuelle Befriedigung sorgen und ihm seine Lieblingskekse backen. Doch als er auf einem Klassentreffen seine alte Liebe Elli wiedertrifft, eskaliert die gesamte Situation.
In Karen Duves neuem Roman “Macht” geht es um genau dieses Thema. Dabei verbindet sie zwei Handlungsstränge: einmal die dystopische Vorstellung, wie es in einigen Jahren in Deutschland aussehen könnte, und zum anderen die beklemmende Story einer Entführung, wie sie regelmäßig in den Medien für Entsetzen sorgt, z.B. im Fall der Natascha Kampusch. Die äußeren Verhältnisse, die Karen Duve beschreibt, sind dabei durchaus nicht ganz unrealistisch, wenn man die aktuellen Klima-Prognosen einfach zu Ende denkt. So schreitet die absehbare Umweltkatastrophe, aller Warnungen zum Trotz, durch menschliche Dummheit und Selbstsucht unbeirrt voran – niemand, so Duves wenig hoffnungsvolles Bild, will auf seine eigene Bequemlichkeit verzichten, bis alles zusammenbricht. Zugleich zeigt sie, wie schwierig es auf gesellschaftlicher wie individueller Ebene ist, den Status Quo von Macht und Ohnmacht zu verändern. Selbst der ehemalige Vorzeigemann Sebastian kommt mit den neuen Machtstrukturen nicht zurecht und schafft sich ein privates Reich, in dem er seine frühere Machtposition weiter ausleben kann. So greift die Autorin aktuelle Fragen auf, die sie kompromisslos und auf ihre eigene, stets leicht beklemmend-skurrile Denkart aufrollt. “Macht” ist ein zynischer, eigenwilliger Roman von einer Autorin, die einen Blick in eine nicht allzu ferne Zukunft wagt und in ihren Gedanken keine Schranken kennt.
Karen Duve, 1961 in Hamburg geboren, lebt mit einem Maultier, einem
Pferd, einem Esel, zwei Katzen und zwei Hühnern auf dem Lande in der
Märkischen Schweiz. Ihre Romane Regenroman (1999), Dies ist kein
Liebeslied (2002), Die entführte
Prinzessin (2005) und Macht (2008) waren
Bestseller und sind in 14 Sprachen übersetzt.
Rezension von Silke Schröder
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